„Wenn es Bürgerkammern nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden.“ Oliver Lohmann ist begeistert von der Idee, wie sich Neuschloß und Rosengarten auch ohne Ortsbeirat Gehör verschaffen könnten. Deshalb sei es vielleicht sogar ein Vorteil, dass dort die Ortsbeiräte nicht zustande kommen, schreibt er in seinem Kommentar in der Lampertheimer Zeitung. Die FDP hatte für Neuschloß eine überraschend kurze, die CDU eine Liste mit ungeeigneten Kandidaten abgegeben, weshalb die Wahlen für den Ortsbeirat im März ausfallen.

Die LZ streicht heraus: „Bürger können sich zusammenfinden, um gemeinsam mit Parteimitgliedern, Vereinsvertretern und anderen Interessengruppen nach Vorschlägen für ein besseres Zusammenleben zu suchen. Wer weiß, vielleicht etablieren sich die Kammern dauerhaft, nach 2021 neben dem Ortsbeirat.“

Daher sei den Ortsvorstehern und allen, die sich Gedanken um eine Interessenvertretung für Neuschloß und Rosengarten machten, für ihre Mühen zu danken. „Vielleicht entsteht hier ein Muster für eine attraktive und gelingende Bürgerbeteiligung.“

Uwe Rauschelbach betont im Südhessen Morgen, Neuschloß und Rosengarten brauchten eine Vertretung. Die Bürger könnten „schließlich nichts für die beklagenswerten und bis heute nicht recht nachvollziehbaren Versäumnisse im Zusammenhang mit der Abgabe der Kandidatenlisten“. Er lobt, die Kammer tage öffentlich – im Gegensatz zur zunächst ins Gespräch gebrachten Kommission.

Rauschelbach warnt aber auch, Selbstverständnis und Rang einer Bürgerkammer seien von denen eines politisch legitimierten Ortsbeirats zu unterscheiden. Werde das beachtet, würde eine bürgerschaftlich orientierte Stadtteilvertretung die Folgen des demokratischen Supergaus im Zusammenhang mit der Kandidatur zur Ortsbeiratswahl wesentlich lindern.

Die Ortsvorsteherin von Neuschloß, Carola Biehal, wird schließlich im Südhessen Morgen zitert, nun müsse sich in Gesprächen mit den Bürgern zeigen, ob ein solches Modell tatsächlich ankommt – und dann auch mit Leben erfüllt werden kann.

Weiterere Berichte: Lampertheimer Zeitung, Tip.

Eine Bürgerkammer könnte vom März an die Interessen der Neuschlößer vertreten. Das schlägt Ortsvorsteherin Carola Biehal (SPD) vor – genauso wie der Rosengartener Ortsvorsteher Horst Werner Schmidt (FWG) für seinen Stadtteil. In Neuschloß fällt die Wahl des Ortsbeirats aus, weil die FDP eine überraschend kurze und die CDU eine fehlerhafte Kandidatenliste vorgelegt hatte; im Rosengarten verpassten die Freien Wähler die Abgabefrist mit dem gleichen Ergebnis.

„Die Bürgerkammer agiert als repräsentatives Organ des Ortsteils gegenüber Stadtparlament und Verwaltung mit der Zielsetzung von Ideenentwicklung, Empfehlungen, Einbindung von Meinungs- und Interessenlagen, Klärung und Erarbeitung von Fakten bei Problemzonen und Herstellung von Öffentlichkeit für alle Sachthemen im Umfeld des Ortsteils“, heißt es in dem Konzept, für das Biehal und Schmidt werben.

Das Konzept basiert auf Forschungsarbeiten des Duisburger Politikwissenschaftlers Karl-Rudolf Korte, der früher im Rosengarten, jetzt in Worms wohnt. Biehal und Schmidt haben ihren Vorschlag nach eigenen Angaben mit Korte abgestimmt; der Wissenschaftler habe sich auch bereit erklärt, bei der Umsetzung vor Ort zu helfen.

Dazu müssten allerdings die städtischen Gremien mitziehen. Die beiden Ortsvorsteher haben über das Kammer-Konzept mit Bürgermeister Gottfried Störmer gesprochen. Der habe jede Form von Bürgerbeteiligung für gut befunden, werde den Vorschlag rechtlich prüfen und dem Magistrat vorstellen. Außerordentliche Treffen des Ortsbeirats sollen die Bürgerinnen und Bürgern von Neuschloß und Rosengarten ausführlich informieren.

In der Kammer würden bis zu 20 Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils diskutieren. Den Magistrat soll wie bisher im Ortsbeirat der Bürgermeister oder der Erste Stadtrat vertreten. Ausführende Institution wäre ein Vorsitz, gewählt in der ersten Sitzung, bestehend aus einer oder einem Ersten Vorsitzenden, einer Stellvertretung und der Schriftführung.

Wer aber wählt die Leute aus, die in der Kammer sitzen? Zunächst schlagen Biehal und Schmidt vor, dass Interessierte ein Art Bewerbung abgeben („kurzes Motivationsschreiben mit Interessenhintergrund, biographische Daten“). Auswählen könnte dann ein Ausschuss, möglicherweise bestehend aus dem noch amtierenden Ortsbeirat, Vertrauenspersonen aus der Bürgerschaft und städtische Vertreter. Einbezogen werden sollen örtliche Interessensgruppen wie Sportverein, Kirche oder der Elternbeirat des Kindergartens. Damit ist die Kammer deutlich weniger demokratisch legitimiert als ein Ortsbeirat, der direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt würde.

Dafür gibt es zwei andere Stellen, die es den Bürgerinnen und Bürger erlaubt, sich deutlich mehr einzumischen als bisher. Zum einen darf das Publikum in einem klar umfassten Rahmen mitdiskutieren – wenn es vorher eine begrenzte Redezeit anmeldet. Zum anderen kann auch die Jugend mitmachen: Heranwachsende, die älter als 16 Jahre sind, sind genauso als Vertreterinnen und Vertreter des Stadtteils erlaubt wie Erwachsene.

Das Konzept setzt darauf, dass sich in den Treffen der Kammer die Mitglieder untereinander einigen: Alle „verständigen sich gemeinsam auf Schwerpunkte, Tagesordnungen, Einbeziehung von Fachexpertise, Rückkopplung der Ideen mit dem Magistrat/Stadtparlament. Dies erfolgt in der Regel durch Konsens der Mitglieder.“ Das ist ein hoher Anspruch, der den nicht wenigen Vertreterinnen und Vertretern abverlangt, zu Kompromissen bereit zu sein.

Falls sich nicht alle einig werden, kann die Kammer mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder entscheiden. Punktuell darf das Gremium beratende Fachleute einladen. Nach dem vorgelegten Konzept tagt die Kammer dreimal im Jahr, öffentlich und längstens jeweils zwei Stunden.

Kammer und Vorsitz arbeiten für 24 Monate. Danach konstituieren sich die Gremien neu.

In einem Leserbrief, den die Lampertheimer Zeitung heute veröffentlicht, erhebt das scheidende Ortsbeiratsmitglied Paul Schneider (parteilos auf der FDP-Liste) Vorwürfe gegenüber Neuschloss.net. Er bezieht sich dabei auf unsere Kritik an FDP und CDU, dass wegen der überraschend kurzen beziehungsweise fehlerhaften Vorschlagslisten dieser Parteien die Wahl des Neuschlößer Ortsbeirats ausfällt.

Schneider schreibt, Ortsvorsteherin Carola Biehal (SPD) biete „Anlass zur Kritik, wenn sie es beispielsweise unwidersprochen lässt, dass speziell auf einem Neuschlößer Internetportal behauptet wird, die FDP hätte sie nicht darüber informiert, dass zwei von drei Personen der FDP-Fraktion für den kommenden Ortsbeirat nicht mehr kandidieren würden. Im Gegenteil, in der letzten Ortsbeiratssitzung am 19. November 2015 hat Carola Biehal sich bei Traudel Neudecker und mir ausdrücklich für die zurückliegende Arbeit im Ortsbeirat bedankt. Übrigens in Anwesenheit des Redakteurs von ’neuschloss.net‘.“ Die Kritik sei eine gezielte „Falschdarstellung“.

Dazu stellen wir fest: In der Tat war klar, dass mit Schneider und Neudecker zwei Leute von der FDP-Liste sich nicht weiter engagieren. Das ist der eine Sachverhalt. Ein anderer Fakt hingegen ist, dass die FDP nicht in der Lage ist, diese zwei Mitstreiter in ihrer Liste zu ersetzen. Denn bisher ist es, egal bei welcher Wahl, absolut üblich, dass neue Leute als Kandidaten folgen, wenn bisherige ausscheiden. Neuschloss.net kritisierte – und kritisiert weiterhin -, dass die FDP nicht rechtzeitig darüber informiert hat, dass ihr das diesmal nicht gelingen würde. Wäre das rechtzeitig bekannt gewesen, hätten die anderen Parteien reagieren können.

Schneider fährt fort, „dieser werte Redakteur“ – gemeint ist Neuschloss.net – halte sich nicht an die Wahrheit beziehungsweise der gebotenen Neutralität. Den Vorwurf, dass wir nicht wahrheitsgemäß berichten, weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück. Und nicht neutral? Wir wissen, dass unsere Kritik, aber auch unser Lob, vielleicht klarer und deutlicher formuliert ist als in anderen Medien. Neuschloss.net steht für Analyse und Meinungsstärke – und in diesem Sinne wollen wir gar nicht neutrale Berichte bringen. Neutral aber, und auch hier widersprechen wir Schneider, sind wir, wenn es darum geht, wen und was wir kritisieren. Unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser werden wissen, dass wir CDU und FDP genauso rügen wie die SPD oder auch mal den kompletten Ortsbeirat, wenn wir glauben, dass das sein muss.

Schneider wirft Neuschloss.net schließlich vor, es verwundere nicht, wenn angesichts der Kritik „kaum mehr Interesse in der Bevölkerung für eine aktive Mitarbeit im Ortsbeirat außerhalb der SPD zu finden ist“. Hier halten wir den Einfluss unserer Webseite für etwas überschätzt. Und vielleicht könnte es ja auch sein, dass nicht die Kritik Schuld ist, sondern das Verhalten selbst: nämlich dass in diesem Falle zwei Parteien Mist bauen – und am Ende nicht dazu stehen und alle möglichen Ablenkungsdebatten anleiern. So wie die über Neuschloss.net.

Bürgermeister Gottfried Störmer rückt von seiner Idee ab, statt der Ortsbeiräte in Neuschloß und im Rosengarten Ortskommissionen einzurichten. Der Südhessen Morgen zitiert ihn, er sehe es als „Nachteil, dass eine Kommission nicht öffentlich tagt.“ Neuschloss.net hatte bereits unmittelbar nach Störmers Vorschlag auf diesen Aspekt hingewiesen: Die größte Wirkung erzielen die – sonst mit wenigen Rechten ausgestatteten – Ortsbeiräte damit, dass ihre Diskussionen und Beschlüsse meist auf öffentliche Resonanz und Anerkennung stoßen.

Zudem sind Kommissionen vom Wohlwollen des Magistrats, also der Stadtregierung, abhängig. Der Magistrat setzt laut Gemeindeordnung solche Kommissionen ein und lässt sich von ihnen berichten. Auch von daher taugen Ortskommissionnen nicht als Ersatz für Ortsbeiräte – es könnte beispielsweise schwierig werden, als Stadtteil der Verwaltung auf die Füße zu treten.

Hintergrund der Debatte: In Neuschloß und im Rosengarten fallen die Ortsbeiratswahlen im März aus, weil in Neuschloß die CDU und FDP, im Rosengarten die Freien Wähler ihre Vorschlagslisten mit zu wenigen Kandidaten oder zu spät abgegeben haben.

Auch die Lampertheimer SPD hatte übrigens in einer ersten, scheinbar wenig überlegten Stellungnahme „zumindest Ortskommissionen als Hilfsorgane des Magistrates“ gefordert. Gut, dass jetzt Störmer davon abkommt und es für sinnvoll hält „auszuloten, welche anderen Möglichkeiten es gibt“.

Welche Alternativen in Frage kommen, darüber machen sich in Neuschloß und im Rosengarten die noch bestehenden Ortsbeiräte Gedanken. Dem Südhessen Morgen zufolge streben beide Stadtteile eine identische Lösung an. Die Neuschlößer Ortsvorsteherin Carola Biehal fordert eine Form, „bei der die Bürger trotzdem ihre Anliegen vorbringen und die Belange vor Ort diskutiert werden können. Ein entsprechend legitimiertes Gremium sei dringend nötig – auch mit Blick auf die anstehenden Neuschlosser Themen wie Grundwassersanierung und Flüchtlinge.“ Gemeinsam mit dem Ortsvorsteher von Rosengarten, Horst Werner Schmitt, habe sie in der kommenden Woche einen Termin bei Bürgermeister Störmer.

Die Lampertheimer Stadtteile Neuschloß und Rosengarten verlieren ihre Ortsbeiräte. Müssen diese wichtigen Stadtteilvertretungen deshalb künftig kleiner werden? Sollen wir die unterschiedlichen Listen dort aufgeben?

Schauen wir noch einmal hin, was passiert war. In Neuschloß kündigte die CDU zwei Kandidaten an, die laut Wahlrecht gar nicht aufstellt werden durften; die FDP nannte bei bisher drei Vertretern nur einen Namen – und behielt dieses Problem für sich. Die SPD gewann sieben Leute. In der Summe waren also zehn Neuschlößer zur Mitarbeit bereit, und hätten CDU und FDP rechtzeitig ein Signal gegeben, dass es Schwierigkeiten geben könnte, wären womöglich weitere Frauen und Männer mitgezogen. Im Rosengarten gab es ebenfalls genug Leute; nur verpassten die Freien Wähler den Abgabetermin ihrer Liste.

Das heißt: Die Ortsbeiräte in Neuschloß und im Rosengarten sind nicht gescheitert, weil es an Bürgern fehlt, die sich engagieren – sondern am stümperhaften Vorgehen einiger Listenschefs. Wenn die Zahl der Beiratsmitglieder aber nicht das Problem war, muss man an ihr auch nicht rütteln.

Als mit einem einzigen Mitglied kleinste Fraktion in Neuschloß müsste die CDU ein Interesse daran haben, dass die Gesamtzahl der Sitze nicht sinkt – denn je weniger Vertreter es gibt, desto schneller fliegen Listen mit wenigen Stimmen ganz raus. Genau aus diesem Grund lassen die Wahlvorschriften bis zu neun Leute zu: damit Minderheitenpositionen Gehör finden.

Die CDU riskiert den Rauswurf aus dem Ortsbeirat, weil sie mit der Debatte über kleinere Gremien von ihrem Listendebakel ablenken kann. Das Wahlrecht ist Schuld – nicht die CDU, die es nicht gelesen hat! Deshalb gibt es auch keinerlei Eingeständnis, dass die Union einen gravierenden Fehler gemacht hat.

CDU-Vorsitzender Aidas Schugschdinis sagt im Wortlaut-Interview der Lampertheimer Zeitung trotzig, das landesweit gültige Wahlgesetz habe einen Mangel: „Es kann doch nicht sein, dass zwei unserer Fraktionsmitglieder, die von der Kernstadt nach Neuschloß gezogen sind, dort nicht kandidieren dürfen – weil sie noch nicht sechs Monate dort leben.“ Das kann nicht nur so sein; es ist so – und zwar seit Jahrzehnten und aus gutem Grund: Wer einen Stadtteil vertritt, soll ihn gut kennen.

Ex-Ortsvorsteher Gottlieb Ohl bringt per Presseerklärung eine überparteiliche Einheitsliste ins Gespräch. Das zeigt: Er sieht so wenig Rückhalt in Neuschloß für die FDP, dass er den Ortsbeirat für die Liberalen ganz aufgibt. Aber warum sollten das alle Parteien tun? Als die FDP noch bis vor fünf Jahren eine klare Mehrheit in Neuschloß hatte, forderten die unterlegenen Parteien auch nicht überparteiliche Listen. Und die SPD kann mit Carola Biehal an der Spitze offensichtlich Engagement bei den Bürgern wecken.

Leider fehlen in Ohls Stellungnahme Erläuterungen in der wichtigsten aller Fragen: warum die FDP nicht rechtzeitig zum Wohle der Ortsgemeinschaft über ihr Kandidatenproblem informiert hat. Dann nämlich hätte Neuschloß für den Ortsbeirat kämpfen können. Stattdessen erklärt Ohl, warum er selbst nicht kandidierte: Er hätte dann einem Nachrücker Platz gemacht. „Für ein solches politisches Taktieren zum Wählerstimmenfang bin ich nicht zu haben. Das ist zwar legal, für mich persönlich bedeutet dies aber Betrug am Wähler.“

Aus taktischen Gründen für ein Amt kandidieren, das man gar nicht will – das kommt bekannt vor. Ohl steht auf der FDP-Liste für die Stadtverordnetenversammlung. Nach §65 HGO darf nicht im Magistrat arbeiten, wer in der Stadtverordnetenversammlung sitzt. Bisher arbeitet aber Ohl im Magistrat als Beigeordneter. Wenn er das auch nach der Kommunalwahl tun möchte, müsste Ohl, falls er ins Parlament gewählt wird, von seinem Mandat als Stadtverordneter zurücktreten – und einem Nachrücker Platz machen. So wie vor fünf Jahren schon. Was das nach seinen eigenen Maßstäben heißt, hat Ohl klar formuliert.

Unterm Strich wird deutlich: Mit Ausreden und ablenkenden Debatten werden CDU und FDP kein verlorenes Vertrauen der Neuschlößer zurückgewinnen. Ehrlichkeit und Reue erscheinen eher angemessen. Wie wäre es denn mit einem kleinen Drei-Punkte-Programm? CDU und FDP könnten zunächst ihre schwerwiegenden Fehler bei der Aufstellung der Listen offen zugeben. Und sich dann angesichts der dramatischen Auswirkungen bei den Neuschlößern entschuldigen. Schließlich erscheint die ein oder andere Lesestunde im hessischen Kommunalrecht hilfreich. Wie sehr die Neuschlößer ein solches Programm tatsächlich versöhnlich stimmt, werden sie mit ihren Kreuzchen in der Wahl der Stadtverordnetenversammlung zeigen.

Hinweis: Ein weitgehend identischer Text ist als Leserbrief in der Lampertheimer Zeitung und im Südhessen Morgen erschienen.