Es klingt wie ein schlechter Scherz, ist es aber leider bittere Realität: In den kommenden fünf Jahren wird es keinen Ortsbeirat in Neuschloß geben. Das ergibt sich aus der Auswertung der eingereichten Listen der Parteien, die der städtische Wahlausschuss am Freitag Vormittag präsentiert hat. Demnach gibt es insgesamt nur acht Kandidatenvorschläge – gefordert sind aber laut Hauptsatzung der Stadt neun. Damit fällt die Wahl des Ortsbeirats aus – und das Gremium wird in den kommenden fünf Jahren nicht zusammentreten. Und folglich kann auch keine Ortsvorsteherin gewählt werden.
Interessant ist, dass die SPD sieben Leute auf ihrer Liste stehen hat, darunter drei neue Namen. Das bedeutet, dass alle anderen Parteien zusammen einen einzigen Kandidaten vorschlagen. Bisher waren noch die FDP und CDU im Ortsbeirat vertreten. Zum Verhängnis wird Neuschloß, dass die CDU diesmal keine gültige Liste vorlegt – und die FDP eine überraschend kurze. Die Grünen sind schon bisher nicht dabei.
Für die CDU sitzt bislang Klaus Schultheiß im Beirat; er wollte nicht mehr antreten. Als Vorschläge für den Ortsbeirat stellte die Partei Ende November Christian Hartmann, der von 2011 an für kurze Zeit als Lampertheimer CDU-Chef arbeitete, und seine Ehefrau Franziska vor. Doch nun gibt es gar keine Liste.
Folglich brachte die FDP nur einen Namen ins Rennen: Gerhard Pflästerer. Auch das überrascht, hatte die FDP doch mit Gottfried Ohl an der Spitze bis vor fünf Jahren sogar die stärkste Liste gestellt. Zuletzt war sie zweitstärkste Fraktion mit Pflästerer, Gertrude Neudecker und Paul Schneider.
Die Ortsbeiräte werden laut Hessischer Gemeindeordnung zeitgleich mit der Stadtverordnetenversammlung gewählt. Das könnte heißen, dass die nächste Chance für einen Ortsbeirat erst in fünf Jahren folgt – es sei denn, die aktuelle Wahl zur Stadtverordnetenversammlung käme nicht zustande oder es käme zu einer Situation, die eine Neuwahl der Stadtverordnetenversammlung nötig machte. Beides scheint wenig wahrscheinlich.
Das ist fatal. Ortsbeiräte haben formal zwar nicht allzuviel zu sagen. Aber dennoch gelten ihre Stellungnahmen im kommunalen politischen Betrieb durchaus etwas. Wichtig sind die regelmäßigen Treffen der Stadtteilgremien auch, weil dort die Verwaltungsspitze oft über größere und kleinere Fragen aus Neuschloß informiert, die auf stadtweiter Ebene untergehen. Und schließlich kann eine starke Ortsvorsteherin oder ein starker Ortsvorsteher den Stadtteil als Person in vielen offiziellen Angelegenheiten kraftvoll vertreten.
Für Neuschloß ist der Ortsbeirat besonders relevant. Denn unseren Stadtteil beschäftigen ja nicht nur kleine Themen. Zur Erinnerung: Wir leben auf Hessens größer bewohnten Altlast. Die Sanierung des Sodabuckels ist fortgeschritten, aber nicht abgeschlossen; die Zukunft der Grundwassersanierung längst nicht gesichert. Außerdem könnten künftig Schnellzüge der Bahn wenige Meter hinter Neuschloß vorbeirauschen. Der Ortsbeirat ist das Gremium, in dem die Informationen aus dem Projektbeirat Altlasten Neuschloß, dem Altlastenverein und der Bila-Inititaive regelmäßig zusammenlaufen und den Weg in die Öffentlichkeit finden.
Zuletzt haben sich zudem die Neuschlößer zunehmend für die Arbeit des Stadtteilgremiums interessiert. Die Zahl der Besucher stieg in den vergangenen Monaten ständig; Ortsvorsteherin Carola Biehal beteiligte die Gäste auch hier und da, soweit das die Vorschriften erlauben. Dass hier ein harter Schnitt entsteht, wird sehr schmerzhaft. Die Gefahr ist groß, dass den Neuschlößern die direkten Ansprechpartner wegbrechen – und dass die Neuschlößer Themen nicht mehr kraftvoll in die stadtweite politische Debatte vordringen. Das wäre ist ein Debakel. Deshalb wird es nun entscheidend werden, alternative Wege zu finden, um eine solche Entwicklung zu verhindern.
Update 1: Auch im Stadtteil Rosengarten wird es keinen Ortsbeirat geben. Hier wurde teils die Einreichungsfrist verpasst. Und das in einer Zeit, in der das Jahrzehnt-Projekt Ortsumgehung in die heiße Phase geht.
Update 2: Lesen Sie Reaktionen von Ortsvorsteherin Carola Biehal, dem CDU-Stadtverordneten Christian Hartmann und von Bürgermeister Gottfried Störmer.
Weitere Berichte: Südhessen Morgen, Tip, Lampertheimer Zeitung.