Ungewöhnlicher Auftritt: Unter dem Punkt „Mitteilungen der Ortsvorsteher“ ergreift Carola Biehal zur Überraschung der Abgeordneten in der Stadtverordnetenversammlung das Wort. Es kommt nicht oft vor, dass an dieser Stelle der Tagesordnung etwas gesagt wird. Doch diesmal war aus Neuschlößer Sicht ein Anlass gegeben. Neuschloss.net dokumentiert Biehals Rede.
Stadtverordnete
Die Krippe – ein Aufbruch für Neuschloß
Es gibt Stadtverordnete in Lampertheim, die nur einen Krippenstandort suchen.
Welche von der CDU ermitteln mit Google Maps, wie viele Meter weiter von bestimmten Standorten in der Kernstadt der Weg in den Neuschlößer Wacholderweg ist verglichen mit dem Weg zum Lutherplatz. (Sie ermitteln freilich nicht, wie lange die Fahrten dauern. Und sie messen keine Wege von Neuschlößern oder Hüttenfelder Familien.) Und es gibt einen Parlamentarier der CDU, der seine möglichen Enkelkinder nicht auf einer sanierten Altlast spielen sehen will, wie es alle anderen Neuschlößer Kinder tun.
Es gibt Grüne-Abgeordnete, die vermuten, eine Krippe in Neuschloß erzeuge mehr CO2-Emissionen als eine am Lutherplatz. (Echt? Wenn viele Kinder, wie zu erwarten, aus dem Rosenstock und Europaviertel kommen – ist da der Weg über die Landstraße nach Neuschloß nicht schneller und schadstoffärmer als im Stoßverkehr durch die Stadt?)
Vielleicht gibt es bei der SPD auch Abgeordnete, die schlicht der Verwaltung folgen – und deshalb für Neuschloß stimmen.
Egal – am Ende gibt es eine Mehrheit für Neuschloß. Und damit schafft die Stadtverordnetenversammlung, auch wenn sie es selbst vielleicht nicht immer so wahrnimmt, etwas ganz Großes. Sie bestimmt mehr als einen umstrittenen Krippenstandort: Sie gibt einem ganzen Stadtteil neuen Mut. Und den kann Neuschloß gebrauchen.
Neuschloß, das ist jener Stadtteil, der nicht nur eine der größten Altlastensanierungen der Republik in manchen Teilen hinter und weiteren Teilen vor sich hat. Das ist auch jener Stadtteil, dem – abgesehen von einem Kiosk und einem zeitweise offenen Café – nach und nach fast jegliche Infrastuktur abhanden gekommen ist. Erst die Bäckerei und die Post, dann die Filialen von Volksbank und Sparkasse, im vergangenen Jahr die Gaststätte – und zuletzt auch noch der Geldautomat der Sparkasse. Selbst für ein Brot fahren die meisten Anwohner nach Lampertheim.
Dass die Stadt jetzt eine Krippe für 50 Mädchen und Jungen neben den städtischen Kindergarten baut, dass nun bald andersrum Lampertheimer regelmäßig nach Neuschloß fahren, dass in der Debatte die wundervolle Lage des Stadtteils unmittelbar am Wald herausgekehrt wird – all das tut uns Neuschlößern gut. Und vielleicht wird die Krippe sogar zum Wendepunkt. Wenn jeden Tag Leute in den Stadtteil kommen, lohnt sich vielleicht auch wieder ein Geldautomat – oder eine Gaststätte.
Die Stadtverordneten haben sich für einen Krippenstandort entschieden – und sie haben sich für Neuschloß entschieden. Im doppelten Sinn. Es könnte ein Aufbruch sein.
Neuschloß bekommt die Kinderkrippe!
20.07 Uhr: Die neue Kinderkrippe der Stadt Lampertheim wird in Neuschloß gebaut. Dafür stimmen in der Stadtverordnetenversammlung geschlossen die Fraktionen von SPD und FDP. Die CDU ist komplett dagegen. Die Grünen votieren unterschiedlich. Insgesamt 26 Stimmen für Neuschloß, 18 dagegen.
Einstimmig fällt der grundsätzliche Beschluss, eine Krippe zu bauen. Auch dass fünf Gruppen errichtet werden sollen, fällt auf allgemeines Wohlgefallen. Gebaut werden soll in energetischer Modulbauweise.
19.56 Uhr: Fritz Götz (SPD) freut sich über die rege Diskussion. Sie triftet ein wenig ab und wendet sich der Baugenossenschaft zu – nach einer Provokation von Dieter Meyer (CDU).
19.50 Uhr: Ein Vertreter der Grünen führt als Argument gegen eine Krippe in Neuschloß an, es entstehe zu viel Autoverkehr und CO2-Belastung. Ein anderer, Vater von vier Kindern, ist für Neuschloß wegen des Waldes. Der Weg zur Natur sei näher.
19.47 Uhr: Es gibt offenbar ein neues Angebot der katholischen Kirche, einen Teil ihres benachbarten Grundstücks zur Verfügung zu stellen. Das könnte eventuell eine einstöckige Bauweise ermöglichen.
19.43 Uhr: Bürgermeister Erich Maier geht ans Mikrofon: „Es gibt keinen belastbaren Grund, warum man den Standort Lamertheim vor Neuschloß vorziehen muss.“ Und zu den Grünen: „Die Krippe werden wir noch 30 Jahre lang nutzen.“ Wenn in vielen Jahren Einrichtungen geschlossen würden, dann ältere.
19.39 Uhr: Die SPD berichtet, der Vertreter der CDU im Ortsbeirat, Klaus Schultheis, habe in einem Schreiben an den Ortsbeirat sein Entsetzen über die Äußerung des CDU-Stadtverordneten Hofmann ausgedrückt. Die SPD macht die Abstimmung über den Krippenstandort zu einer Abstimmung über „Ja zu Neuschloß“.
19.37 Uhr: Die CDU kritisiert Biehal, es sei nicht schön, dass seine Fraktion von der Ortsvorsteherin als einzige in die Ecke gestellt würde. „Frau Biehal, das war keine gute Nummer.“
19.33 Uhr: Helmut Rinkel, Fraktionsvorsitzender der Grünen, ist gegen Neuschloß, weil er dort keine mögliche Folgenutzung sieht, wenn keine Krippe mehr gebraucht wird. „Außerdem sollten wir die Kernstadt nicht aus der Hand geben.“ Bei den Grünen würden alle so abstimmen, wie sie wollen; der Fraktionszwang sei aufgehoben.
19.28 Uhr: Die SPD spricht sich für Neuschloß aus.
19.23 Uhr: Werner Hofmann (CDU) steht am Mikrofon: „Meine Äußerungen waren wohl unbedacht. Über die Redaktionen war ich überrascht. Gleichwohl habe ich sie provoziert. Sorry.“ Die CDU bleibt bei ihrem Nein zum Krippenstandort Neuschloß. „Wir müssen uns nicht schämen. Wir sind verantwortlich für Gesamt-Lampertheim.“
19.20 Uhr: Das Thema Kinderkrippe wird aufgerufen. Die SPD erinnert daran, wie wichtig es ist, bis zum August 2013 die neue Krippe fertig zu haben. „Eltern können sonst auf Verdienstausfall klagen.“
19.15 Uhr: Biehals Auftritt ist um. „Kann man hier dazu Stellung nehmen?“, fragen Stadtverordnete. Die Sitzungsleitung antwortet: „Wir kommen später zu dem Punkt.“ Sie erinnert an den Paragrafen, nach dem Ortsvorsteher in der Stadtverordnetenversammlung das Recht haben, Dinge mitzuteilen.
19.11 Uhr: Die Neuschlößer Ortsvorsteherin kommt zum Schluss: Die CDU wolle wahrscheinlich einen anderen Standort für die Krippe in Lampertheim – und suche nach Argumenten. „Sie sollten sich schämen.“
19.10 Uhr: „Haben Sie je den Sanierungsplan gelesen?“, fragt Biehal sauer. „Sie waren sogar gegen die Trassensanierung unter den Straßen!“, stellt sie die Kompetenz der CDU in Frage.
19.09 Uhr: Das gab es lange nicht mehr – eine Ortsvorsteherin tritt unter dem Punkt Mitteilungen ans Mikrofon. Carola Biehal aus Neuschloß blickt auf die CDU.
19.05 Uhr: Diverse Mitteilungen. Zwei Stadtverordente treten ab. Einige hatten Geburtstag.
19.00 Uhr: Die Glocke klingelt – Stadtverordnetenvorsteherin Brigitte Stass eröffnet die Sitzung.
18.57 Uhr: Der Sitzungssaal des Stadthauses füllt sich. Die Lampertheimer Stadtverordneten kommen am heutigen Freitag zusammen. Thema sein werden unter anderem die skandalösen Äußerungen des CDU-Stadtverordneten Werner Hofmann, der seine möglichen Enkelkinder nicht im altlasten-sanierten Neuschloß spielen sehen will.
Beweise, Herr Hofmann – oder Rücktritt!
Im Kurznachrichtendienst Twitter gibt es einen Account, der sich CDU_Lampertheim nennt. Als Follower erhielt Neuschloss.Net gerade eine Kurznachricht von diesem Absender. Inhalt: ein Link zu einer Pornoseite im Internet.
Dass die CDU Lampertheim auch im ganz realen Leben reichlich Müll von sich gibt, beweist sie in der Diskussion über einen Standort für die geplante weitere Kinderkrippe in Lampertheim – wenn ihr Stadtverordneter Werner Hofmann im städtischen Ausschuss für Familie, Jugend und Senioren sagt, eine altlastenbefreite Erde in Neuschloß könne er seinen möglichen Enkeln nicht zumuten.
Die Fläche neben dem Kindergarten, die als Baugrund zur Debatte steht, ist nach der gleichen Technik bearbeitet wie die meisten anderen Grundstücke in Neuschloß. Das heißt, die CDU Lampertheim geht davon aus, dass die Sanierung der mehr als hundert Grundstücke auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Chemischen Fabrik nicht sorgfältig genug ausgefallen ist. Jedenfalls nicht so gründlich, dass dort Kinder spielen könnten.
Der Verdacht, das Leben in Neuschloß sei trotz der Sanierung mit all ihren Lasten für Anwohner und öffentliche Haushalte weiter gefährlich, ist schwerwiegend. Als Neuschlößer Bürger erwarte ich von der CDU, dass sie mich und die anderen Bewohner des Stadtteils umgehend über die Hintergründe dieser Einschätzung informiert. Schließlich habe ich schon jetzt Kinder, die im Garten spielen – und nicht vielleicht erst irgendwann Enkelkinder wie Herr Hofmann.
Freilich könnte sich auch herausstellen, dass es keine Fakten gibt, die Hofmanns Worte belegen. Sie wären dann gedankenloses Geschwätz – und zwar auf Kosten der Neuschlößer, die sich schon seit vielen Jahren um ihre Gesundheit und den Wert ihrer Immobilien sorgen müssen. Wer mit solchen existenziellen Ängsten der Einwohner eines ganzen Stadtteils spielt, nur um Punkte in einer politischen Debatte über einen Krippenstandort zu sammeln, verfehlt seine Aufgabe als Volksvertreter ganz und gar. Hofmann versteht offenbar nicht einmal, was er den Menschen antut, die er eigentlich vertreten sollte.
Deshalb, Werner Hofmann: Belegen Sie die Gefährdung der Neuschlößer trotz der Sanierung – oder treten Sie von Ihren politischen Ämtern zurück!
Und wenn sich die CDU als Partei und Fraktion nicht dem gleichen Verdacht ausgesetzt sehen will, täte sie gut daran, sich von Hofmanns Äußerungen zu distanzieren. Einmal schon hat sie diese Chance verpasst: in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses zum gleichen Thema. Ich bin gespannt auf die Stadtverordentenversammlung am Freitag, 14. Dezember, um 19 Uhr. Und viele weitere Neuschlößer sicher auch.
Presseschau dazu:
- Analyse im Südhessen Morgen von Uwe Rauschelbach mit Hinweis auf diese Stellungnahme: Signal für einen Neuanfang
- Kommentar im Südhessen Morgen von Uwe Rauschelbach: Schlecht beraten
- Bericht im Südhessen Morgen: Maier über CDU: Katastrophal
- Bericht in der Lampertheimer Zeitung: Krippe soll nach Neuschloß
Update 10. Dezember: Eine Version ohne Porno-Einstieg ist heute als Leserbrief in der Lampertheimer Zeitung erschienen. Der Twitter-Account der CDULampertheim verschickt aber weiter Porno-Nachrichten an Follower, jetzt schon drei.