Die Bürgerkammer-Idee kommt in Neuschloß gut an. Das hat eine Diskussion im Anschluss an das letzte Treffen des Ortsbeirats gezeigt, an der sich rund 40 Bürgerinnen und Bürger beteiligten. Am Ende erklärten etwa 15 Frauen und Männer per Handzeichen ihr grundsätzliches Interesse, sich in dieser Form für den Stadtteil zu engagieren. Dazu kommen noch bisherige Ortsbeiräte. Damit würden so viele Menschen wie noch nie gemeinsam Neuschloß voranbringen – eine fantastische Chance.
Ortsvorsteherin Carola Biehal hatte gemeinsam mit ihrem Rosengartener Amtskollegen Horst Werner Schmitt die Bürgerkammer vorgeschlagen, weil wegen Verfahrensfehler einiger Fraktionen in den kommenden fünf Jahren der Ortsbeirat ausfallen wird. „Ein Jahr hätten wir vielleicht überbrücken können, aber in fünf Jahren würde sämtliches bürgerschaftliches Engagement verschwinden“, erläuterte sie.
Obwohl auf gesamtstädtischer Ebene politisch umstritten, sprachen sich in einer Erklärung die Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen des Ortsbeirats von SPD, FDP und CDU „für die Einrichtung einer Bürgerkammer in unserem Ortsteil aus“ (Dokumentation der kompletten Erklärung).
Bürgerversammlungen, wie sie die Lampertheimer Grünen als Alternative ins Gespräch gebracht hatten, lehnten die Ortsbeiräte ab. In solchen Informationsveranstaltungen werde zwar vieles diskutiert, danach bleibe aber niemand im Stadtteil an den besprochenen Themen dran. „Es wird nicht vor Ort gearbeitet, es fehlt jede Stetigkeit“, sagte Biehal.
Sie stellte klar, das vorlegte Konzept sei ein erster Vorschlag: „Die Dinge sind nicht in Stein gemeiselt.“
Die Neuschlößer vergewisserten sich mit ihren Nachfragen, dass die Bürgerkammer dem Stadtteil insgesamt mehr Gehör verschafft als einzelne Bewohner, die sich an Verwaltung oder Politik wenden.
Bürger sprechen sich für Wahl aus
Um ihrer Einrichtung mehr Gewicht und Legitimation zu verschaffen, sprachen sich in einem Meinungsbild alle Anwesenden dafür aus, die Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerkammer nicht zu ernennen, sondern im Stadtteil wählen zu lassen – ähnlich wie bei der Gründung des Projektbeirats Altlasten (PAN).
Ausdrücklich wünschten sich die interessierten Bürgerinnen und Bürger, dass bisherige Ortsbeiräte in die Bürgerkammer einziehen – damit inhaltliches und formales Wissen nicht verloren geht. Bereitschaft dazu besteht.
Empört zeigte sich in diesem Zusammenhang Ortsbeirat Robert Lenhardt (SPD) über Äußerungen des FDP-Stadtverordneten Fritz Röhrenbeck in der Facebook-Gruppe „Lampertheim tretet ein“, die Kammer sei ein „Versuch der Personen, die vorher in den Ortsbeiräten aktiv waren, ihre politische Macht zwanghaft zu erhalten“. Ortsvorsteherin Biehal ergänzte: „Ich muss nicht die Vorsitzende der Bürgerkammer sein.“
Die Neuschlößer sehen die Bürgerkammer als Chance, junge Leute zu gewinnen. „Wenn Sie die fragen, ob sich für eine Partei in den Ortsbeirat gehen, winken die ab“, berichtete die bisherige Ortsbeirätin Traudel Neudecker aus eigener Erfahrung. „Aber bei dieser parteiunabhängigen Sache kann das anders sein.“
Langfristig, so ein anderer Hinweis, könnten aber auch die Parteien davon profitieren, wenn mit der Kammer das bürgerschaftliche Engagement steigt.
Nächster Schritt soll eine weitere Versammlung sein, zu der alle Neuschlößer eingeladen werden. Interessenten an einer Mitarbeit in der Bürgerkammer können sich von sofort an bei Carola Biehal (Telefon 06206/2241) melden.
Ohl verlässt demonstrativ die Sitzung
Wie umstritten die Bürgerkammer unter den ehrenamtlichen Stadträten im Magistrat ist, konnten die Neuschlößer live erleben. Während Stadtrat Hans Schlatter (SPD) die Debatte wohlwollend verfolgte, verlies sein Amtskollege Gottlieb Ohl (FDP) die Sitzung demonstrativ, als das Thema aufgerufen wurde.
Best-of-Feuerwerk der Fraktionen
Der freien Diskussion über die Bürgerkammer vorangegangen war eine formale Ortsbeiratssitzung, der das Publikum interessiert lauschte. Es schien, als zündeten die Fraktionen ein Best-of-Feuerwerk – es gab ungewöhnlich viele Anträge, Anfragen und Diskussionsbeiträge zu Themen, die das Stadtteilgremium bisher immer wieder beschäftigten: Kanalgeruch, Altlastensanierung, ICE-Trasse, Parkplätze an der Kinderkrippe, Straßenlärm und Busverkehr.
Schießlich bedanke sich Biehal bei drei langjährigen Mitgliedern des Ortsbeirats. Paul Schneider war von 1991 bis 1993 und dann wieder seit 2006 als Parteiloser über die FDP-Liste dabei, Traudel Neudecker seit 1997. Klaus Schultheiß kommt auf stolze 35 Jahre – seit 1981 vertrat er die CDU.
Und ganz am Ende war es SPD-Beirat Manfred Reipa, der wiederum Ortsvorsteherin Carola Biehal dankte mit den Worten: „Du kannst keine Ungerechtigkeit ertragen. Aber Du weißt dich in Dinge reinzubeißen, bis Du an dein Ziel kommst.“ Mit der Bürgerkammer für Neuschloß jedenfalls ging es an diesem Abend einen großen Schritt voran.