Wie stark ist die AfD in Neuschloß? Angetreten ist die rechtspopulistische Partei für die Wahlen zum Kreistag. In unserem Stadtteil kommt sie dabei auf 19,0 Prozent der Stimmen – bei einer Beteiligung von 33,6 Prozent. Damit liegt Neuschloß über dem Stadtschnitt von 17 Prozent, wie unsere interaktive Grafik zeigt: Steht Mauszeiger auf den entsprechenden Balken, werden die Werte eingeblendet.


Die meisten AfD-Wähler leben in den Stimmbezirken der Kernstadt, die wenigsten in den Stadtteilen. Insgesamt kommt die AfD in Lampertheim auf einen höheren Anteil als im gesamten Kreis Bergstraße, der wiederum der stärkste Landkreis der AfD in Hessen ist.

Woher kommen in Neuschloß die AfD-Stimmen? Um das zu erkunden, haben wir die Neuschlößer Ergebnisse zur Kreistagswahl von 2006 (links), 2011 (Mitte) und 2016 (rechts) auf einer Grafik zusammengetragen. Die Zahlen von 2011 alleine sind als Vergleich wenig aussagekräftig, weil damals nach dem folgenschweren Störfall im japanischen Atomkraftwerk von Fukushima ungewöhnlich viele Menschen grün gewählt hatten.

Zu sehen ist: In Neuschloß liegt in der Kreistagswahl die SPD deutlich vorne; und sie macht ihr Minus von vor fünf Jahren sogar fast zur Hälfte wett. Die CDU als zweitstärkste Kraft dagegen verlor 2011 massiv – und kommt auch diesmal nicht von der Stelle. Die FDP fällt kontinuierlich. Deutlich zu erkennen ist der Fukushima-Effekt bei den Grünen, die sich – im Gegensatz zu SPD, CDU und FDP – in Neuschloß kaum engagieren und auch keine Liste für den Ortsbeirat zusammenbringen. Die Grünen landen ziemlich genau in der Größenordnung, von der aus sie 2006 ihren Höhenflug antraten.

Die Wahlbeteiligung schwankt im Rahmen des Üblichen (2006: 32,9 Prozent, 2011: 34,7 Prozent, 2016: 33,6 Prozent); offenkundig hat es in Neuschloß nicht wie anderswo viele bisherige Wahlverweigerer in den Bürgersaal gezogen, um dort die AfD zu beehren. Von den Zahlen her sieht es für Neuschloß eher danach aus, als hätten die Sozialdemokraten ihre Anhänger solide im Griff. Anders die CDU und FDP. Möglicherweise sind jene Frauen und Männer, die sich 2011 den Grünen zugewandt haben, nicht zurück zu Schwarz und Gelb – sondern protestieren nun mit ihren blauen AfD-Stimmen.

Es könnte sein, dass in Neuschloß vor allem jene Mittelschicht zur AfD tendiert, die in der Angst lebt, etwas zu verlieren.

Die Bürgerkammer nimmt Gestalt an – und stößt weiter auf großes Interesse der Neuschlößer. Etwa 50 Frauen und Männer waren zu einem neuerlichen Informationsabend gekommen, zu dem der scheidende Ortsbeirat in den Bürgersaal am Ahornplatz eingeladen hatte.

Nach dem bereits in einem ersten Treffen im Febuar viele Neuschlößer ihr Interesse an einer Mitarbeit bekundet hatte, trugen sich jetzt erneut viele in eine Liste ein. Damit dürfte es mehr als 20 Mitstreiter geben – so groß soll die Bürgerkammer sein. Also ist eine Auswahl nötig. Erneut sprachen sich die Neuschlößer einstimmig dafür aus, eine stadtteilweite Wahl auszurufen. Interessierte können sich noch bis Freitag, 15. April, bewerben – per E-Mail an die Adresse buergerkammer(at)neuschloss.net.

Damit geht Neuschloß anders vor als der Stadtteil Rosengarten, wo ein Ältestenrat entscheiden soll, wer in der Bürgerkammer vertreten ist. „Neuschloß unterscheidet sich von Rosengarten. Wegen der beiden großen Bebauungsphasen kennen bei uns jene Leute, die hier seit langem leben, nicht unbedingt alle Zugezogenen“, erläuterte Ortsvorsteherin Carola Biehal. Und natürlich bringt eine Wahl auch eine bessere Legitimation der Kammer als Stadtteil-Vertretung.

Vorgesehen ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger je 20 Stimmen vergeben können – entsprechend der Anzahl der Sitze. Das Mandat gilt für zwei Jahre. Die Gewählten wiederum werden nach der Konstitutierung der Kammer eine Art Vorstand bestimmen. Biehal strich die Vorteile der Bürgerkammer gegenüber einem Ortsbeirat heraus: „Man muss auf keiner Liste einer Partei stehen, um hier mitzumachen“, sagte sie. Auch Jugendliche von 16 Jahren an oder städtische Bedienstete könnten dabei sein. Die Kammer könne künftig auch neben dem Ortsbeirat weiter bestehen.

Die scheidende Ortsvorsteherin Carola Biehal und ihr Stellvertreter Robert Lenhardt leiteten das Treffen.
Die scheidende Ortsvorsteherin Carola Biehal und ihr Stellvertreter Robert Lenhardt leiteten das Treffen.

Der stellvertretende Ortsvorsteher Robert Lenhardt sagte, die Kammer könne sich drei- bis viermal pro Jahr treffen – an jenen Abenden, an denen eigentlich die Ortsbeiräte hätten zusammentreffen sollen. Das erscheint sinnvoll, weil sich diese Termine gut in die Treffen der kommunalpolitischen Organe der Stadt einfügen.

Die Neuschlößer Bürgerrunde interessierte auch Vertreter der Lampertheimer Kommunalpolitik. Vor allem die SPD war unter den Gästen stark vertreten mit Erstem Stadtrat Jens Klinger, Stadtrat Hans Schlatter und dem Fraktionsvorsitzenden Marius Schmidt. Die FDP vertrat Vorsitzender Thomas Bittner. Für die CDU-Fraktion war Björn Hedderich dabei, der erkennbar mit dem Bürgerkammer-Projekt sympatisierte. Am Rande der Veranstaltung kündigte er gegenüber Neuschloss.net an, die Union wolle ich künftig verstärkt in Neuschloß engagieren.

In der letzten Sitzung des Ortsbeirats haben alle Fraktionen die Neuschlößer dazu aufgerufen, in einer Bürgerkammer weiter regelmäßig gemeinsam jene Dinge zu besprechen, die wichtig sind für unseren Stadtteil – und die wir mit Kraft auf gesamtstädtischer Ebene vortragen müssen. Wie das gelingen könnte, ist Thema eines Informationsabends am Donnerstag, 17. März, 19 Uhr, im Bürgersaal am Ahornplatz.

In einem ersten Meinungsbild hatten sich im Januar bereits etwa 15 Frauen und Männer bereit erklärt, sich in einer Bürgerkammer zu engagieren. Die neue Runde war notwendig geworden, weil die CDU keine gültige und die FDP eine überraschend kurze Kandidatenliste vorgelegt hatte, so dass es seit den Kommunalwahlen keinen Ortsbeirat mehr in Neuschloß gibt.

Themen hat Neuschloß in den kommenden fünf Jahren genug. Der Ortsbeirat skizziert sie in seiner Einladung: Wie beleben wir das kulturelle Leben in unserem Stadtteil? Wie können wir weiter so wundervoll wie bisher Flüchtlinge unterstützen? Was wird aus Sodabuckel und Grundwasser? Wie bringen wir unsere Kritik an der geplanten ICE-Trasse erfolgreich vor? Oder schlicht: Wie gewöhnen wir dem Abwasserkanal ab, uns mit seinem Gestank eigentlich schöne Sommerabende zu vermasseln? Nicht zuletzt jährt sich die erste urkundliche Erwähnung von Neuschloß bald zum 550. Mal – sicher Anlass nicht nur für ein schönes Fest.

Um diese Dinge anzugehen, brauchen wir eine Runde von Menschen, die sich regelmäßig trifft und die auch in der Stadtverwaltung Gehör findet. Der Ortsbeirat schlägt dafür einstimmig eine Bürgerkammer vor. Alle Einwohnerinnen und Einwohner von 16 Jahren an können mitmachen. Bürgermeister Gottfried Störmer und Erster Stadtrat Jens Klinger haben uns ihre Unterstützung zugesagt.

Auch Rosengarten kommt in Sachen Bürgerkammer voran. Dort ist die konstituierende Sitzung für Mai geplant.

Oft genug gesprochen hat der Ortsbeirat schon über die üble Geruchsbelästigung, die uns der Abwasserkanal beschert – vor Jahren war der Wunsch nach einem Meldeformular für den Gestank übrigens die Keimzelle für Neuschloss.net. Klar, dass das Thema auch im letzten Treffen für die nächsten fünf Jahre vorkam. Leider entstand dabei nicht der Eindruck, dass es hier vorangeht. Im Gegenteil.

Wie jedesmal berichtete die Verwaltung, wann wo welche Filter eingebaut wurden, dass der Kanal vermehrt gespült werde – und man nicht verstehe, warum all das nichts nutzt. Erschreckend diesmal aber: Offenbar hat in der Stadtverwaltung die Zuständigkeit für das Thema gewechselt. Der neue Mann machte im Ortsbeirat leider nicht den Eindruck, dass ihm bisher viel über die bekannten Fakten berichtet wurde. Ein Unding – das sicher nicht passiert wäre, wenn dem zuständigen Amt und dem Ersten Stadtrat Jens Klingler (SPD), der die Verwaltung im Ortsbeirat vertritt, die Brisanz des Kanalgestanks für Neuschloß klar wäre.

Kein Wunder, dass manche Ortsbeiräte da die Geduld verlieren. Paul Schneider (FDP-Liste) sieht wie Volker Harres (SPD) die Ursache des Geruchs in der Anbindung des Kanals aus Hüttenfeld. Auch diese These ist nicht neu. Schneider setzt nun auf eine, wie er formuliert, Radikallösung: eine stillgelegte Kläranlage in Hüttenfeld solle wieder ertüchtigt werden.

Die SPD-Fraktion runzelte die Stirn: Der Trend sei eher gegenläufig, nämlich dass man Kläranlagen über Kommunen hinweg zusammenfasse. Auch zwischen Lampertheim, Bürstadt und Groß-Rohrheim liefen im Mittelzentrum Ried solche Gespräche, ergänzte Klingler. Alternativ könnte das Hüttenfelder Abwasser auch nach Lorsch gepumpt werden, legte Schneider nach. Das, antwortete Klingler, sei immerhin denkbar, wenn man auch die Stadt Lorsch in die interkommunalen Kläranlagen-Gespräche mit einbeziehen könne.

Nicht zur Sprache kam eine in doppelter Hinsicht mögliche naheliegende Lösung. Das Hüttenfelder Abwasser wird über eine Druckleitung nach Neuschloß gepumpt, mündet am Forsthaus in den normalen Kanal, dreht eine Runde durch weite Teile unseres Stadtteils und wird dann vom Sammelbecken am östlichen Waldfriedhof-Parkplatz aus zusammen mit dem Neuschloßer Abwasser über eine weitere Druckleitung bis zur Lampertheimer Kläranlage befördert. Liefe die Hüttenfelder Druckleitung in Neuschloß direkt weiter bis zum Sammelbecken, könnte dieses Abwasser in Neuschloß keine üblen Gerüche verströmen.

Preisgünstig wäre eine Verlängerung der Druckleitung wohl nicht – aber womöglich weniger aufwendig als der Betrieb einer eigenen Kläranlage in Hüttenfeld oder eine Anbindung nach Lorsch. Aber auch diese Idee ist nicht neu, für aufmerksame Beobachter zumindest.

Zum Nachlesen: die bisherigen Bemühungen, das Kanalproblem in den Griff zu bekommen.

In seiner letzten Sitzung spricht sich der Neuschlößer Ortsbeirat einstimmig für die „Einrichtung einer Bürgerkammer in unserem Ortsteil aus“ – obwohl das Thema in der stadtweiten Debatte politisch umstritten ist. Wir dokumentieren die Stellungnahme, die Ortsvorsteherin Carola Biehal (SPD) zum Beginn des Treffens verlesen hatte.

„Den Wegfall der repräsentativen Institution Ortsbeirat durch die Verfahrensfehler bedauern wir – aber auch, dass die Satzung der Stadt Lampertheim einen unflexiblen Handlungsrahmen aufweist. Paragraf 3, Absatz 2, der Hauptsatzung der Stadt Lampertheim, der zwingend neun Mitglieder vorsieht und damit einen Wahlgang bei der anstehenden Kommunalwahl im März 2016 verhindert, widerspricht der gesellschaftlichen Realität in Zeiten des geringen Interesses an repräsentativer Politik. Wir weisen daher darauf hin, den entsprechenden Paragraphen in der kommenden Legislaturperiode gemäß der flexiblen Vorlage der HGO anzupassen.

Die Erfahrungen unserer Arbeit in der Zeit von 2011 bis 2016 hat uns deutlich gemacht, dass es unabdingbar ist, aktive gesellschaftliche und politische Teilhabe in unserem Ortsteil zu belassen und zu fördern.

Die breite Vielfalt an Themen (Grundwassersanierung, Flüchtlingspolitik, aktive Gestaltung des kulturellen Lebens unseres Stadtteils etc.), die der Ortsteil zu bewältigen hat, durch Bürgerversammlungen und/oder eine Ortskommission abzuarbeiten, lehnen wir ab. Ein effektives Arbeiten im Sinne des Stadtteiles würde dadurch erschwert.

Hier liegt die Chance für die Bürgerkammer, durch einen kreativen Umgang mit der Situation zu greifen. Engagierte und interessierte Bürger können sich vor Ort aktiv in die Politik einbringen und politische Entscheidungen mitprägen.

Mit der Bürgerkammer können wir den Erwartungen vieler Menschen an eine lebendige und zeitgemäße Demokratie entsprechen. Sie stellt die bestehenden Institutionen nicht in Frage, sie bereichert diese um eine neue Dimension durch den Diskurs aus der Zivilgesellschaft.

Themen werden der breit aufgestellten Öffentlichkeit ergebnisorientiert diskutiert und als verlässliche Informationsgrundlage weitergegeben.

Das Instrument Bürgerkammer steht für lebendige Demokratie im politischen Alltag, mit einer klaren Ausprägung zur Stetigkeit. Die Verantwortlichkeit und Entscheidungsfindung wird auf einen größeren Kreis von Beteiligten aufgeteilt.

Mit der Zusage des Bürgermeisters, einen hauptamtlichen Vertreter des Magistrates zu den Sitzungen der Bürgerkammer zu entsenden, sehen wir einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Verwaltung und den politischen Gremien hoffnungsvoll entgegen.

Wir, die Mitglieder des Ortsbeirates Lampertheim Neuschloß, sprechen uns für die Einrichtung einer Bürgerkammer in unserem Ortsteil aus.

Neuschloß, den 11.02.2016.“