Die Bürgerkammer nimmt Gestalt an – und stößt weiter auf großes Interesse der Neuschlößer. Etwa 50 Frauen und Männer waren zu einem neuerlichen Informationsabend gekommen, zu dem der scheidende Ortsbeirat in den Bürgersaal am Ahornplatz eingeladen hatte.
Nach dem bereits in einem ersten Treffen im Febuar viele Neuschlößer ihr Interesse an einer Mitarbeit bekundet hatte, trugen sich jetzt erneut viele in eine Liste ein. Damit dürfte es mehr als 20 Mitstreiter geben – so groß soll die Bürgerkammer sein. Also ist eine Auswahl nötig. Erneut sprachen sich die Neuschlößer einstimmig dafür aus, eine stadtteilweite Wahl auszurufen. Interessierte können sich noch bis Freitag, 15. April, bewerben – per E-Mail an die Adresse buergerkammer(at)neuschloss.net.
Damit geht Neuschloß anders vor als der Stadtteil Rosengarten, wo ein Ältestenrat entscheiden soll, wer in der Bürgerkammer vertreten ist. „Neuschloß unterscheidet sich von Rosengarten. Wegen der beiden großen Bebauungsphasen kennen bei uns jene Leute, die hier seit langem leben, nicht unbedingt alle Zugezogenen“, erläuterte Ortsvorsteherin Carola Biehal. Und natürlich bringt eine Wahl auch eine bessere Legitimation der Kammer als Stadtteil-Vertretung.
Vorgesehen ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger je 20 Stimmen vergeben können – entsprechend der Anzahl der Sitze. Das Mandat gilt für zwei Jahre. Die Gewählten wiederum werden nach der Konstitutierung der Kammer eine Art Vorstand bestimmen. Biehal strich die Vorteile der Bürgerkammer gegenüber einem Ortsbeirat heraus: „Man muss auf keiner Liste einer Partei stehen, um hier mitzumachen“, sagte sie. Auch Jugendliche von 16 Jahren an oder städtische Bedienstete könnten dabei sein. Die Kammer könne künftig auch neben dem Ortsbeirat weiter bestehen.
Der stellvertretende Ortsvorsteher Robert Lenhardt sagte, die Kammer könne sich drei- bis viermal pro Jahr treffen – an jenen Abenden, an denen eigentlich die Ortsbeiräte hätten zusammentreffen sollen. Das erscheint sinnvoll, weil sich diese Termine gut in die Treffen der kommunalpolitischen Organe der Stadt einfügen.
Die Neuschlößer Bürgerrunde interessierte auch Vertreter der Lampertheimer Kommunalpolitik. Vor allem die SPD war unter den Gästen stark vertreten mit Erstem Stadtrat Jens Klinger, Stadtrat Hans Schlatter und dem Fraktionsvorsitzenden Marius Schmidt. Die FDP vertrat Vorsitzender Thomas Bittner. Für die CDU-Fraktion war Björn Hedderich dabei, der erkennbar mit dem Bürgerkammer-Projekt sympatisierte. Am Rande der Veranstaltung kündigte er gegenüber Neuschloss.net an, die Union wolle ich künftig verstärkt in Neuschloß engagieren.
In der letzten Sitzung des Ortsbeirats haben alle Fraktionen die Neuschlößer dazu aufgerufen, in einer Bürgerkammer weiter regelmäßig gemeinsam jene Dinge zu besprechen, die wichtig sind für unseren Stadtteil – und die wir mit Kraft auf gesamtstädtischer Ebene vortragen müssen. Wie das gelingen könnte, ist Thema eines Informationsabends am Donnerstag, 17. März, 19 Uhr, im Bürgersaal am Ahornplatz.
In einem ersten Meinungsbild hatten sich im Januar bereits etwa 15 Frauen und Männer bereit erklärt, sich in einer Bürgerkammer zu engagieren. Die neue Runde war notwendig geworden, weil die CDU keine gültige und die FDP eine überraschend kurze Kandidatenliste vorgelegt hatte, so dass es seit den Kommunalwahlen keinen Ortsbeirat mehr in Neuschloß gibt.
Themen hat Neuschloß in den kommenden fünf Jahren genug. Der Ortsbeirat skizziert sie in seiner Einladung: Wie beleben wir das kulturelle Leben in unserem Stadtteil? Wie können wir weiter so wundervoll wie bisher Flüchtlinge unterstützen? Was wird aus Sodabuckel und Grundwasser? Wie bringen wir unsere Kritik an der geplanten ICE-Trasse erfolgreich vor? Oder schlicht: Wie gewöhnen wir dem Abwasserkanal ab, uns mit seinem Gestank eigentlich schöne Sommerabende zu vermasseln? Nicht zuletzt jährt sich die erste urkundliche Erwähnung von Neuschloß bald zum 550. Mal – sicher Anlass nicht nur für ein schönes Fest.
Um diese Dinge anzugehen, brauchen wir eine Runde von Menschen, die sich regelmäßig trifft und die auch in der Stadtverwaltung Gehör findet. Der Ortsbeirat schlägt dafür einstimmig eine Bürgerkammer vor. Alle Einwohnerinnen und Einwohner von 16 Jahren an können mitmachen. Bürgermeister Gottfried Störmer und Erster Stadtrat Jens Klinger haben uns ihre Unterstützung zugesagt.
Auch Rosengarten kommt in Sachen Bürgerkammer voran. Dort ist die konstituierende Sitzung für Mai geplant.
Oft genug gesprochen hat der Ortsbeirat schon über die üble Geruchsbelästigung, die uns der Abwasserkanal beschert – vor Jahren war der Wunsch nach einem Meldeformular für den Gestank übrigens die Keimzelle für Neuschloss.net. Klar, dass das Thema auch im letzten Treffen für die nächsten fünf Jahre vorkam. Leider entstand dabei nicht der Eindruck, dass es hier vorangeht. Im Gegenteil.
Wie jedesmal berichtete die Verwaltung, wann wo welche Filter eingebaut wurden, dass der Kanal vermehrt gespült werde – und man nicht verstehe, warum all das nichts nutzt. Erschreckend diesmal aber: Offenbar hat in der Stadtverwaltung die Zuständigkeit für das Thema gewechselt. Der neue Mann machte im Ortsbeirat leider nicht den Eindruck, dass ihm bisher viel über die bekannten Fakten berichtet wurde. Ein Unding – das sicher nicht passiert wäre, wenn dem zuständigen Amt und dem Ersten Stadtrat Jens Klingler (SPD), der die Verwaltung im Ortsbeirat vertritt, die Brisanz des Kanalgestanks für Neuschloß klar wäre.
Kein Wunder, dass manche Ortsbeiräte da die Geduld verlieren. Paul Schneider (FDP-Liste) sieht wie Volker Harres (SPD) die Ursache des Geruchs in der Anbindung des Kanals aus Hüttenfeld. Auch diese These ist nicht neu. Schneider setzt nun auf eine, wie er formuliert, Radikallösung: eine stillgelegte Kläranlage in Hüttenfeld solle wieder ertüchtigt werden.
Die SPD-Fraktion runzelte die Stirn: Der Trend sei eher gegenläufig, nämlich dass man Kläranlagen über Kommunen hinweg zusammenfasse. Auch zwischen Lampertheim, Bürstadt und Groß-Rohrheim liefen im Mittelzentrum Ried solche Gespräche, ergänzte Klingler. Alternativ könnte das Hüttenfelder Abwasser auch nach Lorsch gepumpt werden, legte Schneider nach. Das, antwortete Klingler, sei immerhin denkbar, wenn man auch die Stadt Lorsch in die interkommunalen Kläranlagen-Gespräche mit einbeziehen könne.
Nicht zur Sprache kam eine in doppelter Hinsicht mögliche naheliegende Lösung. Das Hüttenfelder Abwasser wird über eine Druckleitung nach Neuschloß gepumpt, mündet am Forsthaus in den normalen Kanal, dreht eine Runde durch weite Teile unseres Stadtteils und wird dann vom Sammelbecken am östlichen Waldfriedhof-Parkplatz aus zusammen mit dem Neuschloßer Abwasser über eine weitere Druckleitung bis zur Lampertheimer Kläranlage befördert. Liefe die Hüttenfelder Druckleitung in Neuschloß direkt weiter bis zum Sammelbecken, könnte dieses Abwasser in Neuschloß keine üblen Gerüche verströmen.
Preisgünstig wäre eine Verlängerung der Druckleitung wohl nicht – aber womöglich weniger aufwendig als der Betrieb einer eigenen Kläranlage in Hüttenfeld oder eine Anbindung nach Lorsch. Aber auch diese Idee ist nicht neu, für aufmerksame Beobachter zumindest.
In seiner letzten Sitzung spricht sich der Neuschlößer Ortsbeirat einstimmig für die „Einrichtung einer Bürgerkammer in unserem Ortsteil aus“ – obwohl das Thema in der stadtweiten Debatte politisch umstritten ist. Wir dokumentieren die Stellungnahme, die Ortsvorsteherin Carola Biehal (SPD) zum Beginn des Treffens verlesen hatte.
„Den Wegfall der repräsentativen Institution Ortsbeirat durch die Verfahrensfehler bedauern wir – aber auch, dass die Satzung der Stadt Lampertheim einen unflexiblen Handlungsrahmen aufweist. Paragraf 3, Absatz 2, der Hauptsatzung der Stadt Lampertheim, der zwingend neun Mitglieder vorsieht und damit einen Wahlgang bei der anstehenden Kommunalwahl im März 2016 verhindert, widerspricht der gesellschaftlichen Realität in Zeiten des geringen Interesses an repräsentativer Politik. Wir weisen daher darauf hin, den entsprechenden Paragraphen in der kommenden Legislaturperiode gemäß der flexiblen Vorlage der HGO anzupassen.
Die Erfahrungen unserer Arbeit in der Zeit von 2011 bis 2016 hat uns deutlich gemacht, dass es unabdingbar ist, aktive gesellschaftliche und politische Teilhabe in unserem Ortsteil zu belassen und zu fördern.
Die breite Vielfalt an Themen (Grundwassersanierung, Flüchtlingspolitik, aktive Gestaltung des kulturellen Lebens unseres Stadtteils etc.), die der Ortsteil zu bewältigen hat, durch Bürgerversammlungen und/oder eine Ortskommission abzuarbeiten, lehnen wir ab. Ein effektives Arbeiten im Sinne des Stadtteiles würde dadurch erschwert.
Hier liegt die Chance für die Bürgerkammer, durch einen kreativen Umgang mit der Situation zu greifen. Engagierte und interessierte Bürger können sich vor Ort aktiv in die Politik einbringen und politische Entscheidungen mitprägen.
Mit der Bürgerkammer können wir den Erwartungen vieler Menschen an eine lebendige und zeitgemäße Demokratie entsprechen. Sie stellt die bestehenden Institutionen nicht in Frage, sie bereichert diese um eine neue Dimension durch den Diskurs aus der Zivilgesellschaft.
Themen werden der breit aufgestellten Öffentlichkeit ergebnisorientiert diskutiert und als verlässliche Informationsgrundlage weitergegeben.
Das Instrument Bürgerkammer steht für lebendige Demokratie im politischen Alltag, mit einer klaren Ausprägung zur Stetigkeit. Die Verantwortlichkeit und Entscheidungsfindung wird auf einen größeren Kreis von Beteiligten aufgeteilt.
Mit der Zusage des Bürgermeisters, einen hauptamtlichen Vertreter des Magistrates zu den Sitzungen der Bürgerkammer zu entsenden, sehen wir einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Verwaltung und den politischen Gremien hoffnungsvoll entgegen.
Wir, die Mitglieder des Ortsbeirates Lampertheim Neuschloß, sprechen uns für die Einrichtung einer Bürgerkammer in unserem Ortsteil aus.
Die Bürgerkammer-Idee kommt in Neuschloß gut an. Das hat eine Diskussion im Anschluss an das letzte Treffen des Ortsbeirats gezeigt, an der sich rund 40 Bürgerinnen und Bürger beteiligten. Am Ende erklärten etwa 15 Frauen und Männer per Handzeichen ihr grundsätzliches Interesse, sich in dieser Form für den Stadtteil zu engagieren. Dazu kommen noch bisherige Ortsbeiräte. Damit würden so viele Menschen wie noch nie gemeinsam Neuschloß voranbringen – eine fantastische Chance.
Ortsvorsteherin Carola Biehal hatte gemeinsam mit ihrem Rosengartener Amtskollegen Horst Werner Schmitt die Bürgerkammer vorgeschlagen, weil wegen Verfahrensfehler einiger Fraktionen in den kommenden fünf Jahren der Ortsbeirat ausfallen wird. „Ein Jahr hätten wir vielleicht überbrücken können, aber in fünf Jahren würde sämtliches bürgerschaftliches Engagement verschwinden“, erläuterte sie.
Obwohl auf gesamtstädtischer Ebene politisch umstritten, sprachen sich in einer Erklärung die Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen des Ortsbeirats von SPD, FDP und CDU „für die Einrichtung einer Bürgerkammer in unserem Ortsteil aus“ (Dokumentation der kompletten Erklärung).
Bürgerversammlungen, wie sie die Lampertheimer Grünen als Alternative ins Gespräch gebracht hatten, lehnten die Ortsbeiräte ab. In solchen Informationsveranstaltungen werde zwar vieles diskutiert, danach bleibe aber niemand im Stadtteil an den besprochenen Themen dran. „Es wird nicht vor Ort gearbeitet, es fehlt jede Stetigkeit“, sagte Biehal.
Sie stellte klar, das vorlegte Konzept sei ein erster Vorschlag: „Die Dinge sind nicht in Stein gemeiselt.“
Die Neuschlößer vergewisserten sich mit ihren Nachfragen, dass die Bürgerkammer dem Stadtteil insgesamt mehr Gehör verschafft als einzelne Bewohner, die sich an Verwaltung oder Politik wenden.
Bürger sprechen sich für Wahl aus
Um ihrer Einrichtung mehr Gewicht und Legitimation zu verschaffen, sprachen sich in einem Meinungsbild alle Anwesenden dafür aus, die Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerkammer nicht zu ernennen, sondern im Stadtteil wählen zu lassen – ähnlich wie bei der Gründung des Projektbeirats Altlasten (PAN).
Ausdrücklich wünschten sich die interessierten Bürgerinnen und Bürger, dass bisherige Ortsbeiräte in die Bürgerkammer einziehen – damit inhaltliches und formales Wissen nicht verloren geht. Bereitschaft dazu besteht.
Empört zeigte sich in diesem Zusammenhang Ortsbeirat Robert Lenhardt (SPD) über Äußerungen des FDP-Stadtverordneten Fritz Röhrenbeck in der Facebook-Gruppe „Lampertheim tretet ein“, die Kammer sei ein „Versuch der Personen, die vorher in den Ortsbeiräten aktiv waren, ihre politische Macht zwanghaft zu erhalten“. Ortsvorsteherin Biehal ergänzte: „Ich muss nicht die Vorsitzende der Bürgerkammer sein.“
Die Neuschlößer sehen die Bürgerkammer als Chance, junge Leute zu gewinnen. „Wenn Sie die fragen, ob sich für eine Partei in den Ortsbeirat gehen, winken die ab“, berichtete die bisherige Ortsbeirätin Traudel Neudecker aus eigener Erfahrung. „Aber bei dieser parteiunabhängigen Sache kann das anders sein.“
Langfristig, so ein anderer Hinweis, könnten aber auch die Parteien davon profitieren, wenn mit der Kammer das bürgerschaftliche Engagement steigt.
Nächster Schritt soll eine weitere Versammlung sein, zu der alle Neuschlößer eingeladen werden. Interessenten an einer Mitarbeit in der Bürgerkammer können sich von sofort an bei Carola Biehal (Telefon 06206/2241) melden.
Der freien Diskussion über die Bürgerkammer vorangegangen war eine formale Ortsbeiratssitzung, der das Publikum interessiert lauschte. Es schien, als zündeten die Fraktionen ein Best-of-Feuerwerk – es gab ungewöhnlich viele Anträge, Anfragen und Diskussionsbeiträge zu Themen, die das Stadtteilgremium bisher immer wieder beschäftigten: Kanalgeruch, Altlastensanierung, ICE-Trasse, Parkplätze an der Kinderkrippe, Straßenlärm und Busverkehr.
Schießlich bedanke sich Biehal bei drei langjährigen Mitgliedern des Ortsbeirats. Paul Schneider war von 1991 bis 1993 und dann wieder seit 2006 als Parteiloser über die FDP-Liste dabei, Traudel Neudecker seit 1997. Klaus Schultheiß kommt auf stolze 35 Jahre – seit 1981 vertrat er die CDU.
Und ganz am Ende war es SPD-Beirat Manfred Reipa, der wiederum Ortsvorsteherin Carola Biehal dankte mit den Worten: „Du kannst keine Ungerechtigkeit ertragen. Aber Du weißt dich in Dinge reinzubeißen, bis Du an dein Ziel kommst.“ Mit der Bürgerkammer für Neuschloß jedenfalls ging es an diesem Abend einen großen Schritt voran.